Offener Brief an den Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion vom 13.12.2011

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In einem in der niedersächsischen Justiz breit gestreuten Brief, hat der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Björn Thümler dargestellt, was seine Partei mit dem Doppelhaushalt 2012/2013 alles für die Justiz tun will. Für die Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte enthält der Brief im Wesentlichen die Mitteilung: Hinsichtlich der Richterbesoldung und etwaiger Hebungen werden eine Prüfung und gegebenenfalls ein gesondertes Gesetzgebungsverfahren in Aussicht genommen.

Dies ist nicht viel. Deshalb hat der Vorsitzende des NRB, Andreas Kreutzer am 13.12.2012 darauf mit einem offenen Brief geantwortet.

Sehr geehrter Herr Thümler,

Sie haben sich mit Schreiben vom 24.11.2011 an zahlreiche Richterinnen und Richter in Niedersachsen, darunter viele Mitglieder des NRB, gewandt und die Haushaltsbeschlüsse der CDU-Fraktion zum Justizhaushalt 2012/2013 erläutert.

Ich möchte Ihnen mit diesem offenen Brief die Auffassung des NRB zu diesen Beschlüssen verdeutlichen:

Unsere Mitglieder und der geschäftsführende Vorstand des Niedersächsischen Richterbunds sind in hohem Maß von den Entscheidungen enttäuscht, soweit sie den richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst betreffen.

Wir begrüßen zwar die Verbesserungen im nichtrichterlichen Dienst, haben aber kein Verständnis dafür, dass Verbesserungen - von 11 Hebungen von R1 auf R2 einmal abgesehen - für Richter und Staatsanwälte nicht vorgesehen sind.

Dem NRB kam es - neben den unbedingt notwendigen Personalverstärkungen - besonders und vorrangig auf die Umsetzung eines Stellenhebungskonzepts im R1-Bereich an. Das Konzept liegt - mit entsprechenden Gesetzesvorschlägen versehen - seit einem 3/4 Jahr vor. Solche Hebungen sind in anderen Bereichen an der Tagesordnung und haben sich bewährt. Es war auch allen Beteiligten bekannt, dass die Umsetzung im höheren Justizdienst gesetzgeberische Maßnahmen erfordert. Dass diese Maßnahmen nicht vorbereitet worden sind  und die CDU-Fraktion sich damit begnügt hat, "hinsichtlich der Richterbesoldung und etwaiger Hebungen…eine Prüfung und gegebenenfalls ein gesondertes Gesetzgebungsverfahren in Aussicht (zu nehmen)…", ist nicht nachvollziehbar.

Diese Untätigkeit wiegt umso schwerer, als die Situation im höheren Justizdienst in Niedersachsen durch eine massive Überlastung gekennzeichnet ist. Justiz ist nur deshalb im Großen und Ganzen noch funktionsfähig, weil Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen  und Staatsanwälte seit vielen Jahren in erheblichem Umfang unbezahlte Mehrarbeit leisten. Das Stellenhebungskonzept des NRB zielte deshalb darauf ab, denjenigen, die sich im R1-Bereich weit überobligatorisch für die Belange der Justiz einsetzen, wenigstens eine kleine Verbesserung ihrer Besoldungssituation und Anerkennung für ihren Einsatz zu ermöglichen. Dem hat sich die CDU-Fraktion im Ergebnis bisher verschlossen und damit bei unseren Mitgliedern den - hoffentlich unzutreffenden - Eindruck erweckt, die hohe Leistungsbereitschaft der Richter und Staatsanwälte sei ihr und der Landesregierung gleichgültig.
Der Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die ohnehin nicht amtsangemessene R-Besoldung in Niedersachsen aufgrund zahlreicher Kürzungen in den letzten Jahren ("Weihnachtsgeld", Beihilfe etc.) im Ländervergleich mittlerweile auf den drittletzten Platz abgerutscht ist.

Unerfindlich bleibt auch, dass die CDU, wenn sie sich schon gehindert gesehen hat, das Stellenhebungskonzept jetzt umzusetzen, nicht wenigstens - als gewisse Kompensation - einige Maßnahmen zur Linderung der Personalknappheit beschlossen hat. Bei einem Bedarf von 1486 Richtern, vom Justizministerium ermittelt nach dem auch vom Landesrechnungshof anerkannten Berechnungssystem „Pebb§y“, fehlen derzeit 173 Richter,  bei den Staatsanwaltschaften sind es bei einem Bedarf von 580 Kräften 102 Staatsanwälte. Daraus errechnet sich ein Fehlbedarf von 15%. Das von Justizminister Bernd Busemann ausgegebene Ziel von "Pebb§y 1,0" ist bei Weitem nicht erreicht.

Die Justiz ist seit Jahren strukturell unterfinanziert. Engpässe, wie gegenwärtig im Landgerichtsbezirk Stade - dort fehlen zurzeit 16 (!) Richter -, können nicht mehr vernünftig aufgefangen werden. Wegen zu knapper Haushaltsmittel besteht - von wenigen Ausnahmen abgesehen - seit Monaten in allen drei OLG-Bezirken ein faktischer Einstellungs- und Beförderungsstopp im höheren Dienst. Altersabgänge können nicht mehr ersetzt, eine Vielzahl von Verfahren nicht mehr in der gebotenen Weise bearbeitet werden.

Der Hinweis auf die Haushaltslage als Argument gegen eine Aufstockung des Justizhaushalts überzeugt nicht. Sie selbst haben in Ihrem Schreiben die gute Wirtschaftslage und die verbesserte Einnahmesituation angesprochen. Welche Wirtschaftslage stellt sich denn die CDU vor, damit ausreichend Geld für die Justiz bereitgestellt werden kann?
Einsparungen im Justizhaushalt werden auch zukünftig keinen maßgeblichen Beitrag zur Bewältigung der Schuldenkrise leisten. Im Gegenteil: Eine starke rechtsstaatliche Justiz stärkt das Gerechtigkeitsgefühl, sichert die Voraussetzungen erfolgreichen Wirtschaftens, erhöht die Identifikation mit dem demokratischen Verfassungsstaat, fördert die Bereitschaft für das Gemeinwohl Opfer zu erbringen und ist damit unerlässliche Voraussetzung für die Wiederherstellung der politischen Handlungsfähigkeit unseres demokratischen Systems. Gerade in den jetzigen Zeiten, in denen allgemeine Verunsicherung zunehmend Platz greift, ist eine gut aufgestellte  Justiz wichtiger denn je. Die Bürger müssen darauf vertrauen können, dass ihre Rechte geschützt werden.

Ich richte deshalb im Namen der im NRB organisierten Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die dringende Bitte an Sie und die gesamte CDU-Fraktion, sich im neuen Jahr verstärkt für die Verbesserung der Situation der Justiz einzusetzen.

Ein erster und aktueller Schritt ist die von Ihnen in Aussicht genommene umgehende Prüfung und Umsetzung des vorgelegten Stellenhebungskonzepts. Hier bietet der NRB erneut seine uneingeschränkte und konstruktive Mitarbeit an. Wir sind nach wie vor in hohem Maß daran interessiert, dass dieses Konzept realisiert wird.

Folgen müssen aus unserer Sicht aber weitere Schritte, nämlich eine energische und nachhaltige Personalverstärkung und eine deutliche Verbesserung der Besoldung durch Anhebung des allgemeinen Besoldungsniveaus, Wiedereinführung des "Weihnachtsgeldes", Reform der Altersstufen etc.. Vertrauen Sie nicht zu sehr darauf, dass Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte unter den gegenwärtigen Bedingungen Justiz in der bisherigen Qualität noch lange werden aufrechterhalten können. Ich habe daran erhebliche Zweifel.

Lassen Sie deshalb den vielen guten Worten Taten folgen, und stellen Sie der Justiz endlich die Mittel zur Verfügung, die sie als Dritte Gewalt zur Erfüllung ihrer von der Verfassung zugewiesenen Aufgabe benötigt!

Mit freundlichen Grüßen
Andreas Kreutzer