Trauer um ermordeten Staatsanwalt in Bayern (24.01.2012)

© Rainer Sturm / pixelio.de

Waffen im Gericht – Nein Danke!

Die Ermordung des 31-jährigen Staatsanwalts Tilman Turck während einer Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Dachau hat auch in der niedersächsischen Justiz große Trauer und Bestürzung ausgelöst. Unsere stellvertretende Vorsitzende Kirsten Stang hat den NRB am 23. Januar beim Requiem in der Münchener Kirche St. Michael vertreten.

Am 11. Januar verhandelte der Strafrichter des Amtsgerichts Dachau gegen einen 54 Jahre alten Unternehmer, der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 44.000 € nicht abgeführt hatte. Das Gericht verurteilte den Angeklagten wegen Veruntreuung und Vorenthaltung von Arbeitsentgelt zu einer Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung. Während der Urteilsverkündung sprang der Angeklagte plötzlich hoch und feuerte aus einer Pistole fünf Schüsse ab. Er zielte zunächst auf den Richter, der sich jedoch wegducken konnte und dann auf den Staatsanwalt. Dieser wurde von drei Kugeln in Bauch, Schulter und Arm getroffen. Die Verletzungen waren so schwer, dass der Kollege trotz einer Notoperation im Krankenhaus verstarb.[1]

Eine immer länger werdende Kette von Gewaltakten

Dieser Vorfall reiht sich ein in eine immer länger werdende Kette von Gewaltakten und deren Androhung gegen Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie gegen andere Personen in Justizgebäuden.[2] Allein für das Jahr 2011 sind folgende Fälle bekannt geworden:

Am 15. Februar 2011 wird vor dem Landgericht Hanau gegen einen 29-Jährigen wegen Mordes verhandelt. Zum Prozessauftakt bewirft der Angeklagte den Oberstaatsanwalt mit einem Getränkebecher, beschimpft ihn wüst und droht, ihn umzubringen.[3]

Am 21. Februar 2011 soll im Amtsgericht Gießen ein im Gerichtsgebäude weinend angetroffener Mann, der „seine Kinder haben will“, von den Justizwachtmeistern vor die Tür begleitet werden. Plötzlich reißt er sich los und beginnt zu toben. Bei dem Versuch ihn zu bändigen, werden alle drei beteiligten Justizwachtmeister verletzt.[4]

Am 7. März 2011 droht ein in der vorangegangenen Woche vom Landgericht Bückeburg wegen Körperverletzung zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilter Mann aus Nordrhein-Westfalen, den Vorsitzenden dieser Strafkammer und den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu erschießen. Justizwachtmeisterdienst und Polizei sichern die Eingänge. Der Mann wird am späten Nachmittag in seinem Heimatort vorläufig festgenommen.

Am 7. Mai 2011 werden zwei Richter des Amtsgerichts Bückeburg von der "Gründerin der Selbstverwaltung und Außenministerin der Regierung Deutsches Reich" bedroht, nachdem ihr in einem Sorgerechtsverfahren ihr Kind entzogen worden ist.[5]

Im Mai 2011 wird in Hannover eine Staatsanwältin beim Verlassen des Gebäudes von einem Mann mit schizophrener Persönlichkeit niedergerissen und am Boden fixiert, nachdem sie diesem erklärt hatte, dass sie ihn nicht zur Erstattung einer Strafanzeige einlassen könne, weil die Behörde bereits geschlossen habe.[6]

Am 14. Juni 2011 gehen im Landgericht Köln in einem Mordprozess zwei Nebenkläger auf den 19-jährigen Hauptangeklagten und die Verteidigung los. Zwei Justizwachtmeister stürzen sich auf die wütenden Männer und ringen sie zu Boden. Die Randalierer werden vor dem Richterpult und vor der Bank der Staatsanwaltschaft fixiert und aus dem Saal gebracht. Dabei beleidigen und bedrohen die Männer die Anwälte und den Angeklagten mit obszönen Sätzen.[7]

Am 29. Juni 2011 will sich ein 50 Jahre alter Mann, dem in einem Strafverfahren eine Haftstrafe ohne Bewährung droht, im Amtsgericht Nordhausen das Leben nehmen. Dazu übergießt er sich im Gerichtsfoyer mit Benzin. Gerichtsmitarbeiter, Sicherheitspersonal und Polizei können den Mann aber noch rechtzeitig überwältigen, als dieser im Freien versucht, sich mit Hilfe eines Feuerzeuges in Brand zu setzen. Darüber hinaus hatte der Mann angedroht, dass "alle um 15 Uhr eine Überraschung erleben, an der er lange gebastelt" habe. Ein Sprengsatz wird jedoch nicht gefunden.[8]

Am 15. Dezember 2011 wird im Oberlandesgericht Karlsruhe ein Richter von einem Beklagten, der in erster Instanz zur Zahlung einer Werklohnforderung von 6.000,00 € verurteilt worden war und dem er signalisiert hatte, dass seine Berufung wohl erfolglos sein werde, beim Verlassen des Gerichtssaals krankenhausreif geschlagen. Er verlor einen Zahn, mehrere Zähne wurden gelockert und außerdem erlitt er eine Risswunde.[9]

Weitere Tötungsfälle in der Vergangenheit

Bedauerlicherweise ist der Staatsanwalt Tilman Turck auch nicht der erste Kollege, der im Dienst ermordet wurde. In den letzten 26 Jahren mussten wir bereits den Tod von vier weiteren Richterinnen, Richtern und Staatsanwälten beklagen.

Am 29 Juli 1986 erschießt im Hochsicherheitstrakt des Hamburger Polizeipräsidiums der St.-Pauli-Killer Werner Pinzner den Staatsanwalt Wolfgang Bistry, Pinzners Ehefrau und sich selbst mit einer Pistole, die ihm seine Anwältin zugesteckt hat.[10]

Am 9. März 1994 erschießt in einem Nebengebäude des Amtsgerichts Euskirchen der gerade wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilte Erwin Mikolajczyk  den Richter Alexander Schäfer und sechs weitere Menschen. Anschließend sprengt er sich mit einer Handgranate in die Luft.[11]

Im Januar 1995 schneidet in Kiel ein psychisch labiler Maler einer 49-jährigen Familienrichterin in ihrem Dienstzimmer die Kehle durch, weil er irrtümlich glaubte, dass diese zuständig sei für die Entscheidung über das Sorgerecht für seinen Sohn. Er versucht dann, sich selbst zu töten, überlebt aber.[12]

Am 7. Mai 1998 wird ein 52-jähriger Strafrichter in seinem Dienstzimmer im Amtsgericht Essen erschossen. Danach tötet sich der 69-jährige Todesschütze selber mit einem Schuss in den Kopf. Der Täter war vor 17 Jahren wegen Betruges zu einer geringen Geldstrafe verurteilt worden.[13]

Berufstypisches Restrisiko?

Nach solchen Vorfällen sind von Politikern immer wieder die gleichen Erklärungen zu hören: bedauerlicher Einzelfall, nicht mögliche Gewährleistung von 100-prozentiger Sicherheit, nicht aus jedem Gericht könne man eine Trutzburg machen. Dieses Mal kommt noch eine Komponente hinzu: „Es ist eine bittere, wenn auch nicht neue Erkenntnis, dass der Dienst für den Staat große Gefahren birgt“, sagte Bayerns Justizministerin Dr. Beate Merk.[14] Übersetzen könnte man diese Worte auch so: Es gehört zum typischen beruflichen Risiko jeder Richterin und jedes Richters sowie jeder Staatsanwältin und jedes Staatsanwalts im Dienst erschossen zu werden und das im Rahmen des bayerischen Sicherheitskonzepts bestehende Restrisiko hat sich hier leider realisiert.  - So ähnlich war das auch mit dem Atomkraftwerk in Fukushima und dem Erdbeben mit dem nachfolgenden Tsunami am 11. März 2011.

Fukushima führte rasch zu einem Umdenken in der Atompolitik. Das Sicherheitskonzept der bayerischen Justiz habe ich nicht zu bewerten.

Alle Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind sich bewusst, dass sie einen Beruf ausüben, der nicht ohne Risiko ist. Auch wissen wir, dass absolute Sicherheit nicht erreichbar ist. Aber können wir mit der „Risikominderung“ in den Gerichten und Staatsanwaltschaften in Niedersachsen zufrieden sein?

Niedersachsen ist auf einem guten Weg

Justizminister Busemann hat schon am Tag danach erklärt, dass die Frage der Sicherheit in Gerichten und Staatsanwaltschaften höchste Aufmerksamkeit verdient und dass wir uns in Niedersachsen seit Jahren bemühen, das Risiko so weit wie möglich zu vermindern.

So sei die Ausbildung der Wachtmeisterinnen und Wachtmeister grundlegend reformiert worden. Trotz der angespannten Haushaltslage sei es für dieses Jahr gelungen, 15 neue Stellen für Wachtmeister zu schaffen.

Die Haushaltstitel für Sicherheitseinrichtungen seien auf nunmehr 750.000 € jährlich aufgestockt worden. Fortlaufend seien die Gerichtsstandorte mit Sicherheitstechnik wie Detektorrahmen, Videoanlagen oder moderner Schließtechnik ausgestattet worden. Auch aus Sicherheitsgründen erforderliche Baumaßnahmen seien an einzelnen Standorten bereits durchgeführt worden.

Für jeden Gerichtsstandort in Niedersachsen seien in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt Bestands- und Gefährdungsanalysen erstellt worden. Auf dieser Grundlage würden Sicherheitskonzepte entwickelt. Dabei gehe es auch um anlassunabhängige Einlasskontrollen, die vielerorts bereits durchgeführt würden und an allen Standorten stattfinden sollen.[15]

Dass wir in Niedersachsen bereits ein Stück weiter sind als andere Bundesländer liegt auch daran, dass der NRB diese Entwicklung 2007 mit seiner Braunschweiger Resolution[16] angestoßen hat.

Das Land muss das Schritttempo deutlich erhöhen

Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Gerichte, den Personal- und Richtervertretungen sowie dem Justizwachtmeisterdienst erarbeitet zurzeit ein Sicherheitskonzept, die sog. „AV Eingangskontrollen“. Der NRB ist an der Konzepterstellung leider nur mittelbar beteiligt. Bis zum Abschluss aller notwendigen Beteiligungen, der darauffolgenden Überarbeitung und dem anschließenden Inkrafttreten des Konzepts wird noch einige Zeit vergehen, die wir nicht tatenlos verstreichen lassen dürfen.

Mit der Ermordung des Kollegen in Bayern ist für viele in der niedersächsischen Justiz, mit denen ich nach dem Vorfall gesprochen habe, die Gefahr in der sie leben ein Stück bewusster und der Wunsch nach mehr Sicherheit durch regelmäßige Einlasskontrollen größer geworden.

Zurecht hat unser Vorsitzender Andreas Kreutzer deshalb darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, die Sicherheit in den Gerichtsgebäuden nachhaltig zu verbessern und dass das Land Niedersachsen die Sicherheitsanstrengungen deutlich erhöhen muss, um so bald wie möglich umfassende Eingangskontrollen in den Justizgebäuden einzuführen. Niemand soll die Möglichkeit bekommen, mit einer Waffe einen Gerichtssaal zu betreten. Dazu bedürfe es einer deutlichen Verstärkung des Wachtmeisterpersonals und einer schnellen Anpassung der baulichen und technischen Gegebenheiten in den Justizgebäuden an die modernen Sicherheitserfordernisse, wofür die im Haushalt 2012/2013 hierfür vorgesehenen Mittel bei Weitem nicht ausreichen.[17]

Den vom Justizminister erwähnten 750.000 € für Sicherheitseinrichtungen in der Justiz stehen derzeit 1.150.000 € zur Förderung von Plattdeutsch gegenüber.[18] Mit dieser Verteilung der Gewichte durch die Regierungsfraktionen CDU und FDP können wir nicht zufrieden sein.

Hinweisschilder allein reichen nicht

Wir führen keine typisch deutsche Aufgeregtheitsdebatte.[19] Es ist eine Debatte, die weit über die Grenzen Deutschlands hinausgeht. Die Ermordung des Kollegen in Dachau ist eine weitere Verpflichtung, die Bemühungen der Richtervereinigungen in ganz Europa fortzuführen und zu intensivieren, den Schutz der Bediensteten und aller anderen an den Gerichten aufhältigen Personen sicherzustellen, führt der Präsident der Europäischen Richtervereinigung Dr. Gerhard Reissner in seinem Kondolenzschreiben aus.[20]

Waffen und andere gefährliche Gegenstände gehören nicht an einen Ort, an dem Parteien gewaltfrei ihre Konflikte lösen sollen und an dem Recht gesprochen wird, um streitende Parteien zu befrieden. Es ist erschreckend zu beobachten, dass die zunehmende Bereitschaft, Konflikten mit Gewalt zu begegnen immer häufiger auch in den Gerichten ausgelebt wird. Auch eine Hemmschwelle, seinem Unmut über eine Entscheidung mit Gewalt Ausdruck zu verleihen, ist gegenüber denen, die beruflich für diesen Rechtsstaat eintreten, nicht mehr vorhanden.

Lassen Sie uns nach dem Gedenken an den ermordeten Kollegen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Von einzelnen Gerichtsstandorten ist mir bekannt, dass man erneut Eingangskontrollen durchführt oder zumindest darüber diskutiert, wie man schon jetzt mit dem vorhandenen Personal (mehr) Eingangskontrollen durchführen kann. Nichtanlassbezogene Eingangskontrollen sollten an allen Gerichten stattfinden und dürfen keine Eintagsfliegen sein. Jede durchgeführte Einlasskontrolle ist ein Stückchen mehr an Sicherheit und schreckt mehr ab, als ein aufgehängtes Schild, dem keine Kontrolle folgt.

Armin Böhm

Quelle: NRB Mitteilungsblatt März 2012, Seite 24-26


Die Daten in Klammern geben das Datum an, an dem der Verfasser den Link zuletzt geprüft hat.

[1] vgl. www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/toedliche-schuesse-am-amtsgericht-dachau-staatsanwalt-fordert-haftbefehl-wegen-mordes-1.1255886 (12.01.2012), www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/2.220/toedliche-schuesse-am-amtsgericht-dachau-auch-der-richter-sollte-sterben-1.1257655 (15.01.2012)

[2] Die vollständige Zusammenstellung finden Sie unter www.nrb-info.de/main/view/article/chronic-entwurf/8/topic/108/ (15.01.2012)

[3] vgl. www.main-netz.de/nachrichten/regionalenachrichten/hessenr/art11995,1533647 (09.06.2011)

[4] vgl. www.justizwachtmeisterverband-hessen.de/stadtundland.htm (29.07.2011)

[5] vgl. www.tinawendt.blogspot.com (11.05.2011)

[6] vgl. Schaumburg-Lippische Landes-Zeitung vom 26.11.2011

[7] vgl. rundschau-online.de/html/artikel/1304633513654.shtml (30.06.2011)

[8] vgl. www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Mann-drohte-sich-im-Nordhaeuser-Gericht-anzuzuenden-1535659079 (28.07.2011)

[9] vgl. www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/nid=1622/did=9134306/uk81ez/index.html (15.01.2012)

[10] vgl. www.serienkiller.net/sk3b6.html (24.03.2007), www.swr.de/ex/themen/pinzner.html (19.03.2007)

[11] vgl. www.general-anzeiger-bonn.de/index.php (24.03.2007), rhein-zeitung.de/on/98/05/07/topnews/mordhin.html (24.03.2007)

[12] vgl. www.richterverein.de/mhr/mhr052/m05210.htm (19.03.2007), rhein-zeitung.de/on/98/05/07/topnews/mordhin.html (24.03.2007)

[13] vgl. rhein-zeitung.de/on/98/05/07/topnews/mord.html (24.03.2007), www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1998/0509/lokales/0049/ (24.03.2007)

[14] vgl. www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/toedliche-schuesse-am-amtsgericht-dachau-staatsanwalt-fordert-haftbefehl-wegen-mordes-1.1255886 (12.01.2012)

[15] vgl. www.mj.niedersachsen.de/portal/live.php (19.01.2012)

[16]www.nrb-info.de/uploads/media/070511_Braunschweiger_Resolution_fuer_hoehere_Sicherheit_in_Justizgebaeuden.pdf (19.01.2012)

[17] vgl. www.nrb-info.de/uploads/media/2012-01-13_Trauer_um_ermordeten_Staatsanwalt.pdf (19.01.2012)

[18] vgl. cdu-niedersachsen.de/aktuell/pressemeldungen/2011/11/konsolidieren-investieren-modernisieren-doppelhaushalt-201213-er%C3%B6ffn (19.01.2011)

[19] so der Kommentar von Ralf Müller in der Neuen Westfälischen vom 13.01.2012

[20] vgl. www.drb.de/cms/fileadmin/docs/AKTUELL_02_2012.pdf (20.01.2012)


Weitere Daten
zu diesem Artikel:
Downloads:

Trauer um ermordeten Staatsanwalt in Bayern (170 KB)