Positionspapier des NRB zur Justizpolitik 2013

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Für einen Aufbruch in der Justizpolitik
Starke Justiz - Faire Besoldung

Positionspapier des Niedersächsischen Richterbunds zur Justizpolitik 2013

Am 20.01.2013 wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Dieses Papier beschreibt grundsätzliche Positionen und Forderungen des Niedersächsischen Richterbunds (NRB) an die Justizpolitik der nächsten Jahre.

 

Vorbemerkungen

Die Justiz ist Träger der Dritten Gewalt und Garant des Rechtsstaats. Dem muss jede Justizpolitik Rechnung tragen. Justizpolitik ist insofern mit keinem anderen Politikfeld zu vergleichen. Diese Tatsache wird angesichts der Ressortstruktur der Landesregierung leicht übersehen.

Die Sicherung und Verwirklichung des Rechtsstaats ist ein grundlegendes Qualitätsmerkmal unserer Demokratie. Schwindet das Vertrauen in den Rechtsstaat, schwindet das Vertrauen in die Demokratie. Die Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung geraten ins Wanken. Eine gut und verlässlich arbeitende Justiz ist darüber hinaus ein bedeutender Vorteil für den Wirtschaftsstandort.

Justizpolitik muss deshalb sicherstellen, dass die Justiz ihre umfassenden Aufgaben erfüllen kann. Eine rechtsstaatliche Justiz ist dadurch gekennzeichnet, dass gut ausgebildete und gut bezahlte Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sämtliche Verfahren - ohne Ansehen der Person und unabhängig von Schwierigkeit und Umfang - zeitnah und gründlich führen können. Dazu gehört notwendigerweise sowohl eine ausreichende Anzahl von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten als auch eine Besoldung, die der Verantwortung und der Bedeutung ihrer Arbeit für den Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt  angemessen ist.

Diesem Anspruch werden die Bedingungen, unter denen die Justiz in Niedersachsen arbeitet, nicht gerecht. Dringend notwendige Verbesserungen bei der Personalausstattung und der Besoldung stehen seit Jahren aus.

Der aktuelle Doppelhaushalt 2012/2013 beinhaltet für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte allenfalls minimale Verbesserungen, die angesichts der Arbeitsbelastung völlig unzureichend sind. Selbst das ausgesprochen maßvolle Stellenhebungskonzept des NRB wurde von der Landesregierung nicht umgesetzt.

Personalausstattung

Der niedersächsischen Justiz fehlen seit Jahren Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, um alle anstehenden Verfahren so bearbeiten zu können, wie es der Bürger zu Recht erwarten kann - schnell und gründlich. Die - allgemein anerkannte - Personalbedarfsberechnung (PEBB§Y) weist seit vielen Jahren einen erheblichen Fehlbedarf aus. Allein in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und bei den Staatsanwaltschaften fehlen nach den aktuellen Zahlen des Justizministeriums mindestens 121 Richterinnen und Richter und 30 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Zusätzlicher Personalbedarf besteht auch in der Finanzgerichtsbarkeit (PEBB§Y-Belastung derzeit 1,31) und angesichts der hohen Rückstände auch in der Sozialgerichtsbarkeit.

Was sind die Folgen?

Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sehen sich zunehmend vor die Wahl gestellt, entweder nicht mehr alle Verfahren mit der gebotenen Gründlichkeit zu bearbeiten oder in Kauf zu nehmen, dass die Rechtsuchenden immer länger auf eine Entscheidung warten müssen. Der Zeit- und Erledigungsdruck schadet der Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen. Denn diese hängt nicht nur von der juristischen „Richtigkeit“ ab, sondern maßgeblich auch von einer Verfahrensgestaltung, die die Belange der Bürgerinnen und Bürger angemessen berücksichtigt. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass ein Gericht sie umfassend anhört und sich mit ihren Anliegen gründlich auseinandersetzt. Hierfür fehlt jedoch häufig die Zeit.

Durch die Personalknappheit hat sich der Fokus in der staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Praxis in den vergangenen Jahren zunehmend auf die Frage der Erledigung der Verfahren, also auf die Quantität der zu leistenden Arbeit verengt. Die Frage nach der Qualität gerät mehr und mehr aus dem Blick. Die Bürgerinnen und Bürger haben aber nicht nur einen Anspruch auf eine schnell, sondern auch qualitativ gut arbeitende Justiz.

Die Justiz kommt mittlerweile bei außergewöhnlichen Belastungen sehr schnell an ihre Grenzen. Es gibt keinerlei Ressourcen, Spitzenbelastungen infolge Umfangsverfahren - etwa umfangreicher Wirtschafts- oder Wirtschaftssteuerstrafverfahren - aufzufangen. Das birgt die große Gefahr, dass diese Verfahren entweder in unangemessener Weise beendet werden oder es zu unvertretbar langen Verfahrenslaufzeiten kommt.

Alle diese negativen Folgen des Personalmangels machen es erforderlich, das auch von der jetzigen Landesregierung propagierte Ziel „PEBB§Y 1,0“ möglichst schnell zu verwirklichen und zusätzliches Personal einzustellen.

Der NRB fordert deshalb

die möglichst umgehende Aufstockung des Personals auf PEBB§Y 1,0, insbesondere die Einstellung von 121 zusätzlichen Richterinnen bzw. Richtern in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und 30 zusätzlichen Staatsanwältinnen bzw. Staatsanwälten.

Besoldung

Angesichts der hohen Qualifikation, der langen Ausbildung und der herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Handelns ist die Richterbesoldung unangemessen niedrig, insbesondere in Niedersachsen. Sie muss daher umgehend spürbar verbessert werden.

Die zu geringe Besoldung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten hat der Europarat bereits in seiner Resolution 1685 (2009) festgestellt und Deutschland aufgefordert, die Besoldung von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten zu erhöhen. Geschehen ist nichts. Vielmehr ist die Besoldungsentwicklung in Niedersachsen in den letzten Jahren gekennzeichnet durch niedrige, nicht einmal einen Inflationsausgleich gewährleistende prozentuale Zuwächse, den Wegfall der Sonderzuwendung („Weihnachtsgeld“) und massive Einschnitte im Beihilferecht.

Das hat dazu geführt, dass sich die R-Besoldung in Niedersachsen in evident verfassungswidriger Weise von der Einkommensentwicklung vergleichbarer Berufsgruppen abgekoppelt hat. Allein in den letzten Jahren ist ein realer Rückstand der Besoldung gegenüber der allgemeinen Einkommensentwicklung - vergleicht man diese mit den vorgenommenen Besoldungserhöhungen - von über 9 % eingetreten. Hierdurch und durch die Streichung des Weihnachtsgeldes summiert sich der Besoldungsrückstand auf stattliche 14 %. Niedersachsen befindet sich seit Jahren unterhalb des Bundesdurchschnitts. Der Rückstand zu der in den benachbarten Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Hessen und Hamburg gewährten Besoldung summiert sich je nach Altersstufe und Familienstand im Jahr auf tausend bis fünftausend Euro. Selbst die historisch finanzschwachen Nachbarländer Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Thüringen besolden ihre Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte besser.

In besonderem Maße ist der Nachwuchs betroffen. Ein neu eingestellter Richter, ledig, 1. Altersstufe, erzielt mittlerweile nur noch einen Stundenlohn von ca. 12,00 € netto. Die Justiz steht in einem harten Wettbewerb um die hochqualifizierten jungen Juristinnen und Juristen. Dieser Wettbewerb wird sich im Zeichen des demografischen Wandels von Jahr zu Jahr erheblich verschärfen. Es ist deshalb auch aus diesem Grund ein Gebot der Stunde, nicht nur, aber auch im Bereich der Besoldung deutliche Verbesserungen vorzunehmen und damit den Richter- bzw. Staatsanwaltsberuf attraktiver zu machen.

Der NRB fordert deshalb als dringlichste Maßnahmen

die Anhebung der Besoldung um 14 % und
strukturelle Verbesserungen durch die Abschaffung der 1. Altersstufe und das Hinzufügen einer weiteren Altersstufe.

Finanzierung

Natürlich kostet das Geld, aber eine gut funktionierende Justiz, die ihren Aufgaben gerecht wird, ist eine sinnvolle Investition, die sich für jeden Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt auszahlt. Der Einwand leerer öffentlicher Kassen überzeugt nicht. Der niedersächsische Haushalt umfasst ein Volumen von 24 bis 25 Milliarden €, der Justizhaushalt (einschließlich des Justizvollzugs) beläuft sich lediglich auf ca. 1 Milliarde €. Die vom NRB geforderten Verbesserungen beschreiben ein Finanzvolumen von niedrigen zweistelligen Millionenbeträgen.

Angesichts der hohen Aufgabe, die die Justiz als Garant des Rechtsstaats zu erfüllen hat, ist es ein Gebot der politischen Vernunft, den Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf einen umfassend gut aufgestellten Rechtsstaat ernst zu nehmen und zusätzliche Mittel bereitzustellen.

Auch für den NRB sind solide staatliche Finanzen, das Einhalten einer Schuldenbremse und der Abbau der hohen Staatsverschuldung ein hohes Gut.

Um die Situation der Justiz zu verbessern, gibt es aus Sicht des NRB deshalb nur zwei Möglichkeiten. Entweder wird die Einnahmesituation verbessert - sei es im Gesamthaushalt, sei es durch Erhöhung des Kostendeckungsgrads in der Justiz - oder den Ausgaben für eine angemessene Ausstattung der Justiz im Gesamtkontext der vom Staat zu erfüllenden Aufgaben wird eine deutlich höhere Priorität eingeräumt.

Schlussbemerkung

Die massive strukturelle Unterfinanzierung der Justiz besteht seit vielen Jahren in allen Bundesländern, ohne dass es den Justizministerien jemals gelungen wäre, eine grundlegende Abhilfe zu schaffen.

Der NRB wirft deshalb die Frage auf, ob die Verwaltung der Justiz durch die Exekutive noch zeitgemäß ist oder ob nicht grundlegende Veränderungen in Richtung einer Selbstverwaltung der Justiz geboten sind. Verfassungskonforme Modelle, wie diese gestaltet werden könnte - etwa der Musterentwurf des Deutschen Richterbunds für ein Landesgesetz zur Einführung der Selbstverwaltung der Justiz -, liegen vor.

Andreas Kreutzer
Vorsitzender


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